>spiegelblicke und patronenräume. traumblog teil 1
theater ist ja bei interviewten, die gefragt werden warum theater und nicht film, immer: das flüchtige und darum lebendigere, wo man das publikum spürt, und jede vorstellung anders ist als die letzte. das stetig unfertige also. intern weiss man, dass die letzten 10 tage platzen vor letzter-minute-entschlüsse und verfestigungen, die aus der panik vor der unsicherheit auf der bühne geboren werden. viele regisseure tun sich besonders schwer, nach der premiere loszulassen und das noch-nicht-ganz-fertige zu festigen und zu korrigieren. und wie viele produktionen schaffen es tatsächlich, jeden abend neue konstellationen entstehen zu lassen, wie viele produktionen sind unfertig angelegt und werden dann im programmheft nicht unter der rubrik „scheitern als wichtigster moment im theater“ angepriesen?
und dabei ist bloggen was vom unfertigsten, was es gibt. wenn wir hier die aufgabe haben, über unsere projekte laufend zu informieren, material zu liefern, vielleicht probenberichte, bilder – was erwartet der geneigte oder kritische leser da? den einmaligen einblick, wie wir theatermenschen wirklich arbeiten (also nicht vor 10.30 uhr anfangen und dann alle 20 minuten eine schöpferische rauchpause, viel improvisation und eine riesige materialschlacht)? will er vom scheitern lesen, das mit beängstigender konstanz zur premiere hinan wächst – oder will er sich die sicherheit holen, mit viel lesestoff diese inszenierung auf jeden fall zu verstehen? den text lesen, die personen kennenlernen, die welt bereits vorher austarieren, vielleicht einfach herausfinden, ob ihn das ganze überhaupt interessiert? oder müssen wir hier beweisen, wie spannend-aktiv wir sind?
wir haben am 25. und 27. mai im raum 33 ein kleines vorexperiment vor sagenhaft wenigen zuschauern präsentiert. davor haben wir unseren „revolvertraum“, das projekt nach dem text von lola arias, mit der liebgewonnenen idee „zuschauer ans licht!“ angepriesen. oder wenigstens bei nachfrage erzählt, dass jeder zuschauer per schalter sein licht im bühnenraum entzünden kann und so seine eigene perspektive wählt, oder die sichtbarkeit seiner wahrnehmung. nun haben wir diese situation ausprobiert – und eine andere, ehemals vernachlässigte, aber absolut berauschende. während den 3 tagen proben kann man sich noch ans liebgewonnene klammern, auch wenn die andere sache ganz einfach raffiniert ist. wir habens nicht erfunden, aber schön zum ansehen ists, und es passt dem raum 33 wie ein massgeschneidertes kleidchen, und unserem konzept zum revolvertraum hälts einen glasklaren spiegel vor: 5 A4-grosse spiegel auf notenständern boten kleine blickfenster über einen grossen spiegel an der decke (in den man natürlich auch direkt blicken konnte) auf zwei mädels. schwerelosigkeit war eine sache der positionsänderung. die zuschauer waren voyeure, die sich dem sog der intimität nicht entziehen konnten. die szene war weit weg und hautnah.
also, auf deutsch: spiegel, keine schalter! sogenannte effekte verlieren ihre effekthaftigkeit und –hascherei durch ihre simple herstellbarkeit – eine elegante aushebelung gewohnter erdanziehungskraft, blickrichtung, dimension.
erfinden wird heute im theater kaum noch jemand was. neue formen, so verschrien, sind bloss ein weiterdenken der seh-sehnsüchte, und längst tendenzielle realität. und das war keine korrektur, diese entscheidung war geplant, kurs geändert wegen gewittervorhersage: wir fliegen dran vorbei.
soweit zum spiegel deines nachbarlichen blicks.
nun zur patronensammlung unseres traums.
keine gewähr auf vollständigkeit, hier steht kein konzept dahinter, als jenes des bloggens: information, von einer person aufgesammelt, aufbereitet für maximale assoziationsbereitschaft, wird von der person für den äther online gestellt. irgendeinen wird’s schon freuen. fortsetzungen werden folgen.
thomas schütte ist ein mir sonst eher unbekannter künstler, holger liebs hat ihn für die süddeutsche interviewt und gefragt:
SZ: Sie haben einmal einen ihrer Träume zu Papier gebracht. Ein Museum muss schließen, weil alle streiken, und kein Künstler mehr Werke einliefert. Und die Menschen sind glücklich deswegen und zeugen Kinder. Ein schöner Traum oder ein Albtraum?
Thomas Schütte: Es gibt ja sehr realistische, aus dem Leben gegriffene Träume. Das ist ein großes Privileg der Künstler: lange schlafen zu dürfen. Sie werden dann beneidet, wenn sie um zwölf Uhr mittags verwuselt auftauchen. Durch diese Topmodel-Geschichten weiß man ja inzwischen, dass dieser vermeintliche Glamour harte Arbeit ist, knallhart. Früher konnte ich auf Knopfdruck dösen, stundenlang. Man träumt von der Arbeit und denkt sie noch einmal durch. Dadurch werden die anschließenden Handgriffe sicherer und schneller.
SZ: Träumen ist also produktiv. Und dennoch: War das jetzt ein Albtraum von leeren Museen?
Schütte: Wohl eher eine Phantasie. (…)
wäre ein theater ohne schauspieler und regisseure und dramaturgen und zuschauer eine schöne phantasie oder ein albtraum? – übrigens gehört zu den fakten, die ein umfangreicheres traumerinnern fördern, neben dem entspannten schlafen das aufwachen mitten aus einer traum-phase. wer ausschläft kann sich meistens nur noch durch einen halb-wachen nebel aus schlafbewusstein erinnern, ordnet und erzählt bereits wieder aus dem wachzustand heraus. das produktive dösen und die vorstellungen hinter geschlossenen lidern, tagträumen, all das gehört auf jeden fall zum universum traum. dieses universum ist riesig, es gibt diverse traumtheorien. und die analyse seines träumens versucht ein jeder aus dem wachen - so wie wir das gewohnt sind, unseren tag aus dem wachsein zu analysen. denn ist nicht der traum bloss ein teil des schlafes, der ein teil unseres da- und wachseins ist? brauchen wir den schlaf als gegenstück fürs wachsein, als mittel ohne eigenzweck, als stand-by für den energiehaushalt?
ein mensch, der träumt, verschwindet aber aus dem zusammenhang seiner welt, sein schlafuniversum ist von ‚aussen’ unerreichbar – trotz jahrhundertelanger auseinandersetzung mit dem traum kann niemand genau beantworten, warum wir träumen. auch wenn REM-phase und ihre begleiterscheinungen wissenschaftlich aufgezeichnet werden können, auch wenn sich träume erzählen lassen – die komplexität dessen, was einem träumenden menschen geschieht, ist nie ganz einsichtig, denn sie ist urpersönlich und kann nicht mit den parametern der tagesrealität analysiert werden.
das ist schon wieder eine eigene these. ich finde sie gerade ziemlich einleuchtend. die letzten drei male bin ich morgens aufgewacht und wusste nicht, ob ich jetzt wach war, oder ob nur wieder ein szenewechsel stattgefunden hatte und ich weiter träumte. das aufwachen danach ist in der regel bedeutend langsamer als sonst und durchsetzt mit bildern, emotionen und atmosphären aus einer welt, die vor kurzem noch handfest und echt war.
etwas komplizierter: „… mit der objektivierung von traum und traumausgang etwas (beginnendes) wirkliches zu erschliessen“ (sagt Artemidor, alter grieche), also durch das annehmen der traumgegenstände und –handlung diese in die wirklichkeit zu übertragen. „dennoch erscheint die für die deutung entscheidende belastbarkeit, die welthaltigkeit der traumerfahrung bei einfachen und komplizierten träumen nicht verschieden. im hinblick auf ihr wirklichsein denkt artemidor die zustandsträume und die traumgesichte vielmehr durchaus gleich. der aussagebereich der beiden traumformen differiert: aktueller körperzustand oder aber zukunft. auch die deutungstechnik variiert (…). der wirklichkeitswert der träume und des weltstücks, mit dem sie objektiv verbunden sind, ist trotzdem jeweils gleich – und jeweils ganz gegeben.“ „denn die ordnung der wachwelt und die ordnung der träume erschliessen sich – und zwar durch den glauben an eine erfahrung, mit der sich ein einziger imanenzraum auftut.“
man muss schlussendlich unterscheiden zwischen dem inhalt von träumen – und dem umgang mit ihnen. darum solls in den nächsten posts gehen. was sicher ist: in unserer hinsicht sind träume absolut produktiv.
zitiert wurde aus dem lesenswerten „traum und wirklichkeit“ von petra gehring, campus 2008.
und dabei ist bloggen was vom unfertigsten, was es gibt. wenn wir hier die aufgabe haben, über unsere projekte laufend zu informieren, material zu liefern, vielleicht probenberichte, bilder – was erwartet der geneigte oder kritische leser da? den einmaligen einblick, wie wir theatermenschen wirklich arbeiten (also nicht vor 10.30 uhr anfangen und dann alle 20 minuten eine schöpferische rauchpause, viel improvisation und eine riesige materialschlacht)? will er vom scheitern lesen, das mit beängstigender konstanz zur premiere hinan wächst – oder will er sich die sicherheit holen, mit viel lesestoff diese inszenierung auf jeden fall zu verstehen? den text lesen, die personen kennenlernen, die welt bereits vorher austarieren, vielleicht einfach herausfinden, ob ihn das ganze überhaupt interessiert? oder müssen wir hier beweisen, wie spannend-aktiv wir sind?
wir haben am 25. und 27. mai im raum 33 ein kleines vorexperiment vor sagenhaft wenigen zuschauern präsentiert. davor haben wir unseren „revolvertraum“, das projekt nach dem text von lola arias, mit der liebgewonnenen idee „zuschauer ans licht!“ angepriesen. oder wenigstens bei nachfrage erzählt, dass jeder zuschauer per schalter sein licht im bühnenraum entzünden kann und so seine eigene perspektive wählt, oder die sichtbarkeit seiner wahrnehmung. nun haben wir diese situation ausprobiert – und eine andere, ehemals vernachlässigte, aber absolut berauschende. während den 3 tagen proben kann man sich noch ans liebgewonnene klammern, auch wenn die andere sache ganz einfach raffiniert ist. wir habens nicht erfunden, aber schön zum ansehen ists, und es passt dem raum 33 wie ein massgeschneidertes kleidchen, und unserem konzept zum revolvertraum hälts einen glasklaren spiegel vor: 5 A4-grosse spiegel auf notenständern boten kleine blickfenster über einen grossen spiegel an der decke (in den man natürlich auch direkt blicken konnte) auf zwei mädels. schwerelosigkeit war eine sache der positionsänderung. die zuschauer waren voyeure, die sich dem sog der intimität nicht entziehen konnten. die szene war weit weg und hautnah.
also, auf deutsch: spiegel, keine schalter! sogenannte effekte verlieren ihre effekthaftigkeit und –hascherei durch ihre simple herstellbarkeit – eine elegante aushebelung gewohnter erdanziehungskraft, blickrichtung, dimension.
erfinden wird heute im theater kaum noch jemand was. neue formen, so verschrien, sind bloss ein weiterdenken der seh-sehnsüchte, und längst tendenzielle realität. und das war keine korrektur, diese entscheidung war geplant, kurs geändert wegen gewittervorhersage: wir fliegen dran vorbei.
soweit zum spiegel deines nachbarlichen blicks.
nun zur patronensammlung unseres traums.
keine gewähr auf vollständigkeit, hier steht kein konzept dahinter, als jenes des bloggens: information, von einer person aufgesammelt, aufbereitet für maximale assoziationsbereitschaft, wird von der person für den äther online gestellt. irgendeinen wird’s schon freuen. fortsetzungen werden folgen.
thomas schütte ist ein mir sonst eher unbekannter künstler, holger liebs hat ihn für die süddeutsche interviewt und gefragt:
SZ: Sie haben einmal einen ihrer Träume zu Papier gebracht. Ein Museum muss schließen, weil alle streiken, und kein Künstler mehr Werke einliefert. Und die Menschen sind glücklich deswegen und zeugen Kinder. Ein schöner Traum oder ein Albtraum?
Thomas Schütte: Es gibt ja sehr realistische, aus dem Leben gegriffene Träume. Das ist ein großes Privileg der Künstler: lange schlafen zu dürfen. Sie werden dann beneidet, wenn sie um zwölf Uhr mittags verwuselt auftauchen. Durch diese Topmodel-Geschichten weiß man ja inzwischen, dass dieser vermeintliche Glamour harte Arbeit ist, knallhart. Früher konnte ich auf Knopfdruck dösen, stundenlang. Man träumt von der Arbeit und denkt sie noch einmal durch. Dadurch werden die anschließenden Handgriffe sicherer und schneller.
SZ: Träumen ist also produktiv. Und dennoch: War das jetzt ein Albtraum von leeren Museen?
Schütte: Wohl eher eine Phantasie. (…)
wäre ein theater ohne schauspieler und regisseure und dramaturgen und zuschauer eine schöne phantasie oder ein albtraum? – übrigens gehört zu den fakten, die ein umfangreicheres traumerinnern fördern, neben dem entspannten schlafen das aufwachen mitten aus einer traum-phase. wer ausschläft kann sich meistens nur noch durch einen halb-wachen nebel aus schlafbewusstein erinnern, ordnet und erzählt bereits wieder aus dem wachzustand heraus. das produktive dösen und die vorstellungen hinter geschlossenen lidern, tagträumen, all das gehört auf jeden fall zum universum traum. dieses universum ist riesig, es gibt diverse traumtheorien. und die analyse seines träumens versucht ein jeder aus dem wachen - so wie wir das gewohnt sind, unseren tag aus dem wachsein zu analysen. denn ist nicht der traum bloss ein teil des schlafes, der ein teil unseres da- und wachseins ist? brauchen wir den schlaf als gegenstück fürs wachsein, als mittel ohne eigenzweck, als stand-by für den energiehaushalt?
ein mensch, der träumt, verschwindet aber aus dem zusammenhang seiner welt, sein schlafuniversum ist von ‚aussen’ unerreichbar – trotz jahrhundertelanger auseinandersetzung mit dem traum kann niemand genau beantworten, warum wir träumen. auch wenn REM-phase und ihre begleiterscheinungen wissenschaftlich aufgezeichnet werden können, auch wenn sich träume erzählen lassen – die komplexität dessen, was einem träumenden menschen geschieht, ist nie ganz einsichtig, denn sie ist urpersönlich und kann nicht mit den parametern der tagesrealität analysiert werden.
das ist schon wieder eine eigene these. ich finde sie gerade ziemlich einleuchtend. die letzten drei male bin ich morgens aufgewacht und wusste nicht, ob ich jetzt wach war, oder ob nur wieder ein szenewechsel stattgefunden hatte und ich weiter träumte. das aufwachen danach ist in der regel bedeutend langsamer als sonst und durchsetzt mit bildern, emotionen und atmosphären aus einer welt, die vor kurzem noch handfest und echt war.
etwas komplizierter: „… mit der objektivierung von traum und traumausgang etwas (beginnendes) wirkliches zu erschliessen“ (sagt Artemidor, alter grieche), also durch das annehmen der traumgegenstände und –handlung diese in die wirklichkeit zu übertragen. „dennoch erscheint die für die deutung entscheidende belastbarkeit, die welthaltigkeit der traumerfahrung bei einfachen und komplizierten träumen nicht verschieden. im hinblick auf ihr wirklichsein denkt artemidor die zustandsträume und die traumgesichte vielmehr durchaus gleich. der aussagebereich der beiden traumformen differiert: aktueller körperzustand oder aber zukunft. auch die deutungstechnik variiert (…). der wirklichkeitswert der träume und des weltstücks, mit dem sie objektiv verbunden sind, ist trotzdem jeweils gleich – und jeweils ganz gegeben.“ „denn die ordnung der wachwelt und die ordnung der träume erschliessen sich – und zwar durch den glauben an eine erfahrung, mit der sich ein einziger imanenzraum auftut.“
man muss schlussendlich unterscheiden zwischen dem inhalt von träumen – und dem umgang mit ihnen. darum solls in den nächsten posts gehen. was sicher ist: in unserer hinsicht sind träume absolut produktiv.
zitiert wurde aus dem lesenswerten „traum und wirklichkeit“ von petra gehring, campus 2008.
Bausznern - 7. Jun, 22:32